DR. ANGELIKA BURGER, 2021
Selbstbehauptung von Form und Farbe
Klar, eindeutig und selbstbewußt stehen die Farbformen im Bildfeld.
Sie stehen für sich ein, sie behaupten sich in ihrer Existenz.
Die eindrücklich großen Formen sind aufeinander bezogen und
ruhen doch in sich. Es gibt keinen Wankelmut, keine Unsicherheit,
kein Zögern.
In den knappen Räumen um sie und zwischen ihnen entsteht Spannung,
eine Art magnetisches Feld. Der Grund trägt die Form.
Gab es bisher Berührungen aufeinander reagierender Formen und
gegenseitige Beeinflussung der Formgestalt im hautnahen Kontakt,
so stehen nun die großen, festen Formen für sich, sie haben sich in sich
gefunden, abgegrenzt in ihrer Selbstverständlichkeit, als Kraftfelder
den schmalen Umraum in Spannung versetzend.
Die abgerundeten Blockformen, Scheiben, Bogenflächen sind groß,
eigenständig, bestimmt, eindeutig in Form und Abgrenzung, sie
behaupten sich, der Umraum wird energetisch aufgeladen.
Vexierbildartige Phänomene zwischen Großformen und konstruktiven,
verbindenden Zwischenräumen können entstehen.
Die mächtigen, abgerundeten Rechteck- oder Rundformen schieben sich
wie aus größeren Zusammenhängen kommend ins Bildfeld, veranschau-
lichen einen Teilaspekt ihres Seins in ihrer Bezüglichkeit im Hier und Jetzt.
Bogenfelder schieben sich gegenläufig, von oben und unten kommend,
in engem Kontakt zueinander, jedoch ohne direkte Berührung ins Bildfeld.
Abgerundete Rechteckfelder oder Scheibenformen hängen von oben bzw.
drängen von unten ins Bildfeld und passen sich dem gegebenen
Format an. Verankert am Bildrand reichen sie ins Bildfeld, sich mit
einem Teilaspekt ihrer Gesamtform einlassend, in der Gegenwärtigkeit
des gültigen Miteinanders.
Es sind große, klare, abgegrenzte Formen, eindrücklich, eindeutig,
selbständig, sich einlassend, jedoch nicht symbiotisch
aufeinander reagierend. Sie begegnen sich, selbstbewusst, entschieden,
abgegrenzt, mit einem Großteil ihres Selbst, verlässlich. -
Eindrücklich und leuchtend sind die Farben. Sie geben klare
Statements ab.
Die großen Farbformen stehen in raffinierten, komplementären
Kontrasten zueinander, balancieren sich aus, variieren in Quantität,
Helligkeit und Struktur. Auch bilden sie konkurrierend, enge Kontraste
einer Farbfamilie, die sich bei vitaler Spannung durch unterschiedliche
Gewichtung ausgleichen.
Maria Wallenstal-Schoenberg benützt das Palettmesser und schichtet auf
noch nasse Farbflächen darüberliegende, pastos bewegte Spachtelbahnen.
Tiefer liegende Farbschichten – die in Temperatur und Helligkeit differieren –
erscheinen – oftmals dunkler und sonorer – belebend durch die rissig
durchlässige Pastosität der Epidermis.
Hier und an den gratartig scharf gezogenen Formrändern und –kanten
erscheinen die tiefer liegenden Farbschichten durch die porös
aufgesprungene Oberfläche und tragen zur Lebendigkeit, Differen-
ziertheit und Individualität der Farberscheinung und Farbwirkung
ganz entschieden bei.
Der farbige Reichtum, der im Verborgenen, tiefer Liegenden ruht,
bricht durch die bewegten, sinnlich erfahrbaren Spachtelspuren
wie durch rissige Haut und hinterlässt ein fast textiles Muster in
Farbton- und Helligkeitsvariation.
In Cycle Samana von 2021 ragen Magentarosafarbene Bogenformen
gegenläufig in ein leuchtend gelbgrünes Feld. Klar und scharf
umrissen sind die mächtigen Formen, die Ränder beider Bereiche
begegnen sich, aufeinander Bezug nehmend, als geritzte Linie
und feinem Grat von eigenem, sinnlichen Ausdruckswert.
Farbflächen und Farbformen werden linear exakt umrissen,
wobei neben Form und Farbe die Linie eine eigenständig
erfahrbare Qualität besitzt.
Die bewegten Spachtelspuren lassen unter dem scharfen Pink
ein wärmeres, ebenso gesättigtes, feuriges Orangerot stellenweise
-wie Abrieb- brüchig, rissig hervortreten, was die Farbfläche
ungemein lebendig und spannend erfahrbar macht. Die obere
signalstarke magentarosa Farbschicht zeigt sich offen und durchlässig
für den darunter liegenden roten Grundton.
In einem anderen Bild grenzt eine ins Quadrat eingepasste Rundform
in leuchtendem Gelbgrün mit ihrer Kurvatur an ein dunkles Violett.
Man mag hier an die „curves“ von Ellsworth Kelly denken
Die dabei unregelmäßig gespachtelte, gelbgrüne Farbhaut des
Rund läßt ein kühleres, tieferes Apfelgrün durchscheinen sowie
an den Rändern des dunklen Violett ein helles, leuchtendes Magenta-
pink aufblitzt.
Diese spannungsvollen Gegenüberstellungen von Magenta und
scharfem Gelbgrün erinnern an die in seiner Zeit aufreizende Palette
des deutschen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner.
In Cycle As Black As It Gets von 2018 stehen schwarze Stelenformen
in horizontaler Reihung auf weißlichem Grund, einem Grund,
der perlmuttartig die versteckte Buntheit der Schichten des Schwarz,
die an den Rändern aufblitzen, zu reflektieren scheint.
An den Berührungsstellen der schwarz leuchtenden Formen erscheint
gleich einem feinen, linearen Band die lebhafte Buntfarbigkeit der
tiefer liegenden Schichten.
Auf einem weiteren Bild dieses Zyklus türmen sich schwarze Block-
formen übereinander. Die unterliegende Farbigkeit nuanciert die schwarze
Fläche jeweils. Das farbige Schwarz zeigt sich in unterschiedlichen
Temperaturnuancen von wärmer und kühler. So sind die Form-
ränder für leuchtendes Azurblau, Orange, Pink oder Karminrot
durchlässig. Die Vielfalt der Erscheinung von Schwarz drückt
Hokusai folgendermaßen aus: „ Es gibt ein Schwarz, das alt und
ein Schwarz, das neu ist. Leuchtendes Schwarz und stumpfes Schwarz,
Schwarz im Sonnenschein und Schwarz im Schatten...“.
Für Pierre Soulage ist Schwarz „die aktivste Farbe überhaupt“.
Für unzählige Maler von Goya, Velazquez zu Manet, Beckmann,
Pierre Soulages und Ed Reinhard war die Farbe Schwarz die
geheimnisvollste und reizvollste aller Farben.
Josef Albers, der Meister der Farbwechselwirkungen betonte:
„ ...Farbe ist das relativste Mittel der Kunst, und es bedarf eines
geschulten Auges, um die Korrespondenzen zwischen allen
gegebenen Farben zu sehen.“
Maria Wallenstal-Schoenberg läßt uns in ihrer Malerei
nicht nur die sichtbaren, sondern auch die verborgenen Farben
entdecken.
Dr. Angelika Burger
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DR. ANGELIKA BURGER, 2012
Zur Malerei von Maria Wallenstål-Schoenberg
Die Farbe zum Sprechen bringen. Die Farbe sich ausdrücken lassen, als einzelne und im Zusammenklang mit den anderen. Das bedarf ein Hinzufügen und ein Hinwegnehmen. Das bedeutet einen konzentrierten Prozeß, ein Wachsam sein, ein Hinhören auf den Ausdruckswunsch der einzelnen Farbe, auf ihre höchst mögliche Daseinsrealität und gleichzeitige Einbindung in die Verantwortung der Gesamtklangfarbe.
Wenn Klatschmohnorange und Apfelgrün mit Pfingstrosenrot in ihrer spezifischen Leuchtkraft und Glut aufeinandertreffen,wie reagieren sie, wie stehen sie zueinander, in welcher Weise muß verändert, abgewandelt, gesteigert, gedämpft werden? Das sind Fragen, die allein die Wirkungsmacht der Farbe betreffen. Hier sind Aufnahmebereitschaft, Reaktionsfähigkeit, Mut und Unbeirrbarkeit im Handeln gefragt.
Wenn Himmelblau und Blutorange mit Senfgelb auf kitthellem Grund als Rundformen aufeinanderstoßen, wie stellt sich hier das harmonische Gleichgewicht ein.
Es geht um Gleichberechtigung und Selbstbehauptung. Um Gemeinschaft bei gewahrter Eigenständigkeit der Farben.
Wenn sich Goldlackgelb und Papajarot mit Mandelbraun und Tongrau in prallrunden Formen zusammenfügen, wie sind hier die Farben zu gewichten, die Formgrößen zu wählen, die Wechselbeziehung mit dem Grund zu gestalten. Welche Farbakzente sind zu setzen und wo auf der Bildfläche zu positionieren.
Das sind Fragestellungen und Anforderungen, die sich während des Arbeitsganges stellen und sowohl intuitiv als auch aus der jahrelangen Erkenntnis der Farbcharaktere gelöst werden wollen. Entscheidend dabei ist das sichere Gespür für Farbqualitäten, für Farbtonhöhen und die spezifische Eigenhelle der Farben.
Himmelblau mit Pistaziengrün und gedämpftem Rotorange tönen zusammen mit zartem Rosenton und Weißlich. Kräftiger erklingt ein Erbsengrün mit der Steigerung des Orangerot zu gedämpftem Kirschrot, aufgelockert durch nuanciertes Weiß. Das nicht deckungsgleiche Überlagern von spannungsreichen Nuancen des Farbwertes einer Rund- oder Rechteckform durch wiederholte Pinsel oder Spachtelarbeit - was besonders an den Rändern lebhaften Ausdruck gewinnt - verleiht der einzelnen Farbe eine unerhörte Steigerung ihres Ausdruckswertes, eine substantielle Dinglichkeit.
Der Farbwert konstituiert sich förmlich in einer ihm eigenen vitalen Lebendigkeit, resultierend aus ihn steigernden, belebenden Untertönen. Das Heraustreiben eines Farbwertes durch modulierende Schichtung als Malprozeß verleiht der Farbe eine aktive Rolle. Sie wächst förmlich aus sich selbst heraus, gestaltet sich in ihrer Farbkraft aktiv. Ähnlich dem mittelalterlichen Changeant oder der dreistufigen Farbmodulation–nach Licht-, Mittel- und Schattenwert entsteht der gesteigerte Schönheitswert eines Farbtons aus temperatur- und helligkeitsbedingten bzw. nachbarschaftlichen Farbtonvarianten, die sich hier gleich Lasuren übereinanderrlagern.
Auch Monet kannte in seinen Bildern diese Farbtonsteigerung, diese Euphorie des gesteigerten Erlebens von Farbe und deren bildnerische Umsetzung. Ähnlich der mittelalterlichen Malerei Fra Angelicos stehen die Farben im Grad ihrer höchsten Sättigung und entsprechend ihrer spezifischen Eigenhelle in nachbarschaftlicher oder kontrastierender Beziehung, was den unerhörten Schönheitswert sowohl der Einzelfarbe wieder Gesamtfarbkomposition ausmacht. So kommt es in der Malerei Maria Wallenstål-Schoenbergs zu Nachbarschaften von modulierenden Werten wie Maisgelb, Orangerot, Kirschrot hin zu kühleren Tönen wie Geraniumrot, Malve, schärferem Magenta im Zusammenklang mit Terracotta, Braunrot und Tongrau. Diese warm leuchtenden Farben stehen zusammen mit kontrastierendem vitalen Apfelgrün, Maigrün, dunklerem Lauchgrün, Pistaziengrün und Oliv. Das entrückte Blau setzt als Himmelsblau, Aquamarin, dunklerem Kornblumen-, Rittersporn- oder Hyazinthblau bestimmende Akzente in der Gesamtkomposition der Bildfläche.
Die unregelmäßigen, mitunter aquarellartigen Überlappungen der Farbformränder in ihrem abgewandelten Farbreichtum erinnern an das bildkonstituierende Gewebe aus farbigen „taches“, welche Paul Cézannes Bildsujets hervorbringen, „realisieren“. Was sich in den Bildern Maria Wallenstâl-Schoenbergs realisiert, ist die Farbe selbst, als Individualität, als Ausdruckskraft, in ihrer Prozessualität, als Erlebniswirklichkeit und als aktiver Partner in einer Gemeinschaft Gleichberechtigter. Aus der Erfahrung der mittels begradigter, flacher Konturen unterschiedlichen Ausmaßes miteinander Berührung aufnehmenden, sich tangierenden Rundformen gestalten sich nun in den letzten zwei Jahren die großen Farbfeldbilder nicht mehr als Produkte von Teilungsgrößen der Bildfläche, sondern in eben dem Sinne als ein Austausch sich von Grund und Korrespondenzfläche eigenständig absetzender Farbformen bzw. Farbkörper.
Begann Maria Wallenstål-Schoenberg ihre abstrakten Farbkompoitionen in schachbrettartiger Feldereinteilung, so kam sie über das freie Spiel sich begegnender, tangierender oder voneinander lösender Rundformen gleichsam zu einer Ausweitung dieser Formelemente hin zu großen, rechteckigen Farbformen, die sowohl eigenständig als auch in Spannung zueinander und zum Grund stehen. Farbränder definieren gleich bunter Lesezeichen oder Teppichkanten die vibrierenden Konturen der Farbfelder als transparente Farbüberlagerungen und Farbmischungen. An den Rändern sind die differenzierten Farbüberschneidungen und Mischungen ab lesbar, hier ist der Leinwandgrund als Spur offen gelegt, hier lösen sich die Farbflächen scheinbar minimal vom Grund. Aus dieser verdichteten, pulsierenden Farbfassung rührt gleichsam das Erleben von Farbsteigerung, von aktivierter Farbpotenz. Van Gogh wusste um diese Farbsteigerung und begrenzte seine leuchtenden Kompositionen mit dünnen, orangeroten Leisten, um eine „Art Wirkung wie von gotischen Kirchenfenstern“ zu erzielen.
In feinster, geglätteter Spachtelarbeit verdichtet sich eine Farbfläche zu gedämpftem Rotorange unter Mitwirkung von Safrangelb und Braunocker, im Austausch mit einer korrespondierenden Farbfläche von gedämpftem Graublau, modelliert aus Azur und Ocker. Das verhaltene Rotorange pulsiert durch seine Modulationen mit warmem Gelb, dunklerem Ocker und Spuren von Graublau je nach Lichteinwirkung und Standort des Betrachters. Der untere, dichte, graublaue Klang birgt kühleres Blau und helle Ockernuancen, die ihn dämpfen und zugleich formen.
MariaWallenstål-Schoenberg arbeitet aus der Kenntnis von Farbzerlegung und optischer Mischung der Impressionisten als auch der gegenseitigen Beeinflussung und kontrastierenden Wirkung der Farben, ihrer Interaktionen, wie sie von Johannes Itten und Josef Albers vorbildlich beschrieben und erprobt wurden. Sie wagt auch vitale Gegenüberstellungen von Knallgrün und Knallrot, in sich belebt durch feinste Nuancen von Gelborange, Karminrot und Blaugrün. In einem weiteren Hochformat bildet ein wie Blattgold wirkendes Orangegelb, aufsteigend aus Korallenrot und Violett, die obere Flächenform, gemäßigt durch sand- oder elfenbeinfarben in der Mittelzone, jedoch in kontrastierender, harmonischer Spannung zu einem großflächigen, komplementären Violett, das sich zudem über Pink und Blau in seiner Leuchkraft steigert.
In einem Querformat nun begegnen sich freudiges Orangerot und beglückendes Himmelblau als ebenbürdige Partner gleicher Sättigung, als homogene, in sich beschlossene, nuanciert modellierte Farbformen in Wechselwirkung. So sind die Bilder von Maria Wallenstål-Schoenberg Einladungen sich der Wirkungsmacht, der Schönheit der Farben und ihren Geheimnissen zu überlassen und mit ihnen in Austausch zu treten.
Dr. Angelika Burger
Juni 2012
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